Haben wir uns alle vor den Karren spannen lassen?

9. Juli 2010 | Von Johannes Waldmann | Kategorie: Meinung | Letzte Änderung: 9. Juli 2010 um 13:49 Uhr

Nach den ganzen Aktionen und der erfreulichen, positiven Wendung gestern abend kamen mir einige Gedanken, ob wir Opfer eines politischen Machtspiels zwischen Bund und Ländern geworden sind. Dies mag sicher an eine Verschwörungstherorie erinnern, insofern hoffe ich, das meine Gedanken nicht die Wirklichkeit darstellen.

Die Regierung in Schleswig Holstein behauptet immer wieder, zu viele Mediziner im Angesicht der desolaten Haushaltslage auszubilden. Die Standorte Lübeck und Kiel sind allerdings für sich gesehen und auch in der Zusammenarbeit zu exzellent, als das ein Standort abgebaut werden könnte. Kiel als Volluniversität mit einer hohen Drittmitteleinwerbung und Lübeck, deren Uni von den LN zutreffend als “Lebensnerv der Region” beschrieben wurde. Man hat in den letzten Wochen zunehmend zutreffend bemerkt, dass der Medizinstudiengang hier in Lübeck, durch die enge Vernetzung mit Wirtschaft und den anderen Studiengängen für die Uni und die Bildungs- und Wirtschaftsregion Lübeck essentiell ist. Dies sind alles Fakten, die dem Wirtschaftsministerium vorliegen mussten. Auch muss, im Hinblick auf die Proteste des Jahres 2005, in welchem Austermann uns zu einer Landesuni zusammenfassen wollte, – auch, oder grade, JdJ – klar gewesen sein, dass wir Lübecker das Potential haben, einen Protest in einer nie dagewesenden Größenordung zu organisieren.

Behauptet wurde gestern, dass Verhandlungen mit dem Bund schon seit letztem Dezember laufen. Mir erscheint logisch, dass der Bund, angesichts der desolaten Haushaltslage auf Bundesebene, nicht einfach mal eben 25 Millionen Euro zusätzlich aufwenden will, für Strukturen, gemeint die Bildungs- und Forschungslandschaft in Schleswig-Holstein, die gut etabliert und so verhältnismäßig billig für den Bund sind. Ein Zuschuss in dieser Größenordung lässt sich nicht einfach durch Bitten erlangen.

Somit wurde durch die Haushaltstrukturkommission, deren Mitglied auch der Präsident des Landesrechnungshofes war und der zu einem späteren Zeitpunkt die vorgelegten Pläne, hier in Lübeck Geld durch die Schließung der Uni zu sparen als falsch bezeichnete, die nicht durchsetzbare Idee der Abwicklung der Uni Lübeck in die Öffentlichkeit gebracht – ohne Risikoanalyse und ohne Alternativkonzept, was die Proteste, wie geplant entfachte. Das von Kubicki zugeschickte Papier des Worstcase-Szenarios, deren Zusendung von einem Mitglied der Reigierung und Haushaltsstrukturkommision unverständlich ist, fachte das Protestfeuer noch weiter an und schürte den Zorn auf die Landesregierung und setzte nicht nur diese, sondern in Gewissen maße sicher auch den CDU/FDP-regierten Bund unter Druck. Durch die absolut disqualifizierenden Auftritte des Wirtschaftsministeriums (“Wir haben uns auf Grund des Bestcase-Szenarios entschieden…” und damit, dass es keine Risikoanalyse gibt) wurde weiter Öl ins Feuer gegossen und auch der geheime Plan der Uni Kiel war ein weiterer Protestfaktor. Der Plan von Kubicki und der Plan der Uni Kiel kamen auch immer zu dem genau richtigen Zeitpunkt. Logisch wäre auch damit, dass der Einsparplan aus der Uni Lübeck nicht gepüft, sondern gleich abgelehnt wurde, brachte er doch, durch die Möglichkeit, das Geld ohne Hilfe des Bundes einzusparen, die Gefahr, dass dieser von der jetzt geleisteten Zahlung Abstand genommen hätte.

Dass der Vorschlag der Haushaltsstrukturkomission nicht durchzusetzen war, muss von vornherein klar gewesen sein: Durch die Einstimmenmehrheit und durch die entstehenden Kosten – einfach durch die Absurdheit eines solchen Plans. Und anstatt Verhandlungen mit der Uni Lübeck zu führen, wurde mit dem Bund – angeblich – schon seit Dezember geredet und der Druck durch Veröffentlichung des fatalistischen Plans mit allen seinen Konsequenzen drastisch erhöht.

Diese Gedanken sind mir gekommen und erscheinen auf Ihre Art doch recht logisch. Trotzdem hoffe ich nicht, dass all dieses hinter den Plänen der Haushaltsstrukturkomission stand…

8 Kommentare
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  1. Da kann man schon mal ins Grübeln kommen. Aber viel wichtiger ist, dass die gut organisierte Protestbewegung JETZT NICHT AUFHÖRT !!!!! Jetzt muss man die Pflöcke für die Zukunft einrammen und vertragliche Bindungen sowie politische Beschlüsse herbeiführen, die die Zukunft der Uni Lübeck und des gesamten Medizinnetzwerks Lübeck aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik absichert.
    Und vorallem sollte jeder für sich die politischen Lehren aus dieser Schmierenkomödie der Landesregierung ziehen.
    Viel Erfolg dabei!

  2. Naja,
    hört sich in der Tat in sich schlüssig an. Würde aber die Landesregierung nicht minder disqualifizieren. Wer mit seinen Kronjuwelen -und dazu gehört nunmal die Medizin in Lübeck wie in Kiel – ein derart ristkantes Spiel treiben würde, der würde sich in meinen Augen einreihen in die Riege der Investmentbanker, die die ganze Welt er kürzlich in Schieflage brachte… . Das hätte mit Verantwortung nichts mehr zu tun, hätte ja auch gründlich schief gehen könne, und ganz ohne Schaden sind die 7 Wochen ja auch nicht an uns vorbeigegangen.

    Genauso logisch wäre folgende Variante (auch aus dem Reich der Verschwörungstheorien):
    Lübeck ist den Kielern (die ja sämtlich in Kiel studiert haben) schon immer ein Dorn im Auge, die Pläne Lübeck abzuwickeln und das ist ja nun mal Fakt, lagen fertig in der Schublade. Die Haushaltsstrukturkomission bekommt nicht genug Geld zusammen und entschließt sich Lübeck auslaufen zu lassen, 2 Fliegen mit einer Klappe: Geld gespart und den ewigen Kulturkampf gewonnen. Es gibt genügen Kieler Profs, die die richtigen Leute aus der Regierung dazu getrieben haben könnten, auch das haben wir ja seit 2003 von 300 UnterSCREIBERN schwarz auf weiss… .
    Dass der Protest die Ausmaße annehmen würde, hat – da bin ich mir sicher – keiner einkalkulieren können.

    Wie dem auch immer sei, solch ein Spiel spielt man nicht mit “Freunden”, und genau so sollte der WISSENSCHAFTSMINISTER uns eigentlich einschätzen, beschützen usw. Und dass die CDU und FDP massive Stimmenverluste im Raum Lübeck damit in Kauf nehmen würde, das glaube ich nie und nimmer.

    Vermutlich, und das ist umso erschütternder liegt hier einfach ein grober fall von DUMMHEIT vor, unheilbar, und vollkommen überbezahlt.
    Absägen, sage ich da nur

  3. Diese Gedanken kamen mir gestern Abend auch und ich fühlte mich benutzt.
    Man bedenke aber auch: Lübeck hat draufgezahlt. Durch:

    - einen großer Imageschaden
    - Abwanderung/fehlende Zuwanderung von Wissenschaftlern
    - einen hohen auch finanziellen Aufwand bei den Protestaktionen (wäre mal interessant, da Zahlen zu bekommen, könnte man ja von der Regierung zurückfordern und damit die Streitkasse fürs nächste Mal oder gegen die UKSH-Privatisierung füllen)
    - (Frei-) Zeit-Verlust aufgrund von Aktionen

    Und was sicherlich nicht nur mir so geht, ist der Verlust an Vertrauen an das Gute im Politiker…

  4. Da hat wohl Jemand vor lauter Protest den Sinn für die Realität verloren….
    Wer tatsächlich glaubt, de Jager-Versager, Carstensen und co. hätten sich die ganze Zeit absichtlich vor der gesamten Bundesrepublik lächerlich gemacht, der sollte sich bei diesem Wetter vielleicht ein wenig Abkühlung verschaffen ( nicht bös gemeint ;-) )…. So absurd das alles klingen mag: Ich befürchte dass das die Politik ist gegen die wir uns jetzt und in Zukunft zur Wehr setzten müssen.

  5. Nicht nur die Protesaktionen haben finanziell zu Buche geschlagen, sondern auch die Zeiten, die MitarbeiterInnen der Universität Lübeck und des UK S-H damit verbracht haben, sich die Haare zu raufen, zu diskutieren, Positionen auszuloten, sich zu fragen “Sind denn unsere Politiker noch normal?”, “Ist das Sparpaket ernst gemeint?” und so weiter und so fort hat enorm viel Geld gekostet. Aber danach fragt ja niemand. Erst recht nicht die Verursacher dieses Tohuwabohus.
    Ich denke, hier ist so viel Sch…. gelaufen, dass das Maß einfach voll war und uns allen war/ist ‘mal ein kleiner Einblick gegönnt, wie Politik mittlerweile abläuft. Ich glaub’, mir wird grad richtig schlecht ….

  6. Sollte das auch nur im Ansatz zutreffen ist das eine bodenlose Frechheit. So geht man nicht mit Menschen um die um ihre Existenz bangen. Die ständigen Worthülsen: das ist nicht verhandelbar, das ist alternativlos haben uns doch zurecht auf die Barrikaden gebracht.

    Wenn das der neue Politikstil in Schleswig-Holstein werden soll, na dann gute Nacht !!

  7. Wenn es auch unschön ist: Ich bin mir sehr sicher, dass das ein Föderalismuskampf war: Wer hat den längeren Atem, Land oder Bund?
    Und das schöne an der ganzen Chose: alle! Alle haben den längeren Atem! Regierung Merkel hat hier Wachstumsbeschleunigungsgesetz, als Dankeschön für die Zustimmung SHs im Bundesrat gab es dann, zugegebenermaßen in erpresserischer Absicht nachgeholfen, eine Geldzahlung an SH. Die hätte es anders nicht gegeben, denn: Sonderzahlungen sind nicht drin im Föderalismuswirrwarr. Nicht ohne Grund kam es dazu dass die Uni Lübeck als Geisel herhalten musste, mit ihr und mithilfe der gesamten Lübecker Region wurde der Bund erpresst – denn: Die Kanzlerin ruft die Bildungsrepublik aus, Rösler fordert mehr Medizinstudienplätze, da bietet sich doch eine medizinische Schwerpunktuni an, oder? Es sei hier angemerkt, dass beides Investitionen sind die die Länder zu tätigen haben, ein kostenloser Imagegewinn also für die Regierung Merkel, das klamme SH darf’s ausbaden und will mehr Geld. Zuerst vergleicht es SH mit Griechenland, dann spielen die Herren Minister taub und blöd und sind nicht für Alternativpläne offen – DAS ist kalkuliert – die Verhandlungen laufen längst, und Schavan kokettiert mit der Regierung SH. Zuguterletzt: eine Win-win-Situation: Landesregierung bekommt money, Bundesregierung bekommt Gesetze und der Lübecker Bürger? Ja… was bekommt der? Der bekommt …ja… nix. Oder besser: der bekommt das schöne Gefühl Geisel der SH-Landesregierung geworden zu sein,in einem Erpresserkrimi, der genausogut in Pakistan… oder im Sudan hätte stattfinden können. Nun ist der Kuhhandel getan und ich sage eines: DIE SCHWEINE VON HEUTE SIND AUCH DIE SCHINKEN VON MORGEN! Bei der nächsten Wahl darf es nicht dazu kommen, dass diesen Hinterhältigen Akteuren Platz zur Selbstinszenierung geboten wird, nicht wenn man ein solches demokratisches Foulspiel begeht. Also: Abwählen, und Rücktritt am besten jetzt fordern!

    Desweiteren muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Uni Flensburg unser aller Unterstützung benötigt, und auch die Streichungen im sozialen Bereich eine unglaubliche Einschränkungen für viele darstellen, die am Boden sind und denen geholfen werden muss. Die feinen Herren in Kiel streichen (nur mal als Beispiel) das Blindengeld des Landes SH – recht so, denn was sind Blinde denn auch sonst… ausser Kostenträgern. SO NICHT! Abtreten! Weiterdemonstrieren!

    Vielen Dank an die Lübecker Bürgerinnen und Bürger die mit Weitsicht in unsere Reihen getreten sind und diesen Fiebertraum bekämpft haben, auch wenn wir gelinkt wurden, so haben wir alle unsere Pflicht getan in diesem abgekaterten Spiel!

  8. An den Überlegungen ist sicherlich was dran.

    Haben wir uns vor den Karren spannen lassen? Möglicherweise schon. Aber hatten wir eine Wahl?

    Ich könnte mir zwar durchaus vorstellen, dass die Kieler Regierung auf die Hilfe vom Bund gehofft hat, aber ich würde auf keinen Fall sagen, dass das ein hohler Bluff war. Jedenfalls würde ich de Jager + Co. nicht die Entschlossenheit absprechen wollen, den Plan im Zweifelsfall auch durchzusetzen. Wir hatten also keine andere Wahl, als uns für die Uni einzusetzen. Und es sieht ja so aus als würden wir auch nicht mit leeren Händen nach Hause gehen.

    Wir haben nicht nur etwas über Politik gelernt (und darauf hätte ich auch gerne verzichten können). Die Stiftungsuni ist sicherlich ein wichtiger Schritt in Richtung einer größeren Unabhängigkeit von der Kieler Regierung und jetzt wo wir erstmal in Fahrt sind, werden wir uns sicher auch nicht ohne dieses Zugeständnis zufrieden geben. Und was möglicherweise noch wichtiger ist: Während dieser Zeit des Protestes sind alle an der Uni und auch in der Stadt ein gutes Stück zusammengerückt. Die Gegenseitige Unterstützung war überwältigend und es war doch schön, auch das mal zu erleben!