Woche 1: Wir sind hier! Wir sind laut!

29. Mai 2010 | Von Susanne | Kategorie: Berichte | Letzte Änderung: 25. August 2010 um 15:00 Uhr

Das Uniklinikum soll privatisiert werden. Eine Ankündigung, die die Studenten dazu bewegt hat, sich mit den Mitarbeitern des UKSH zu solidarisieren und gleichzeitig für den Erhalt der Qualität der eigenen Lehre zu kämpfen. Es wurde eine Vollversammlung einberufen, der etwa 600 Studenten folgten und den großen Saal des Audimax bevölkerten. Ziel der Veranstaltung war es, zu informieren: Worum geht es? Wie werden Gelder im Land verteilt? Welche Folgen könnte eine Privatisierung haben? Warum lohnt es sich, dafür auf die Straße zu gehen?

Am Ende war allen Anwesenden bewusst: Es lohnt sich, zu demonstrieren. Und nachdem per Applausometer entschieden wurde, welches Banner den Zug anführen sollte, zog die Meute zum Haupteingang des Campus, wo bereits weitere Studenten sowie die Mitarbeiter des Klinikums und Vertreter der Gewerkschaften warteten. Gemeinsam wurde zur Innenstadt marschiert, eine Fahrtrichtung der Ratzeburger Allee war gesperrt und gut ausgefüllt – über einige hundert Meter, rund 1500 Menschen. Auf den Schrangen zwischen den Karstadt-Häusern wurde die Abschlusskundgebung abgehalten. Vertreter der Gewerkschaften, des Personalrats und des AStAs bekräftigten noch einmal Sorgen und Forderungen, die Stimmung war gut, die Leute friedlich.

Im Anschluss an die Demonstration fand eine AStA-Sitzung statt. Diese sollte ein entspannter Abschluss des Tages sein: Ein kurzes Rekapitulieren, ein bisschen feiern – immerhin waren wir gut! Aus der Feier sollte jedoch nichts werden. Entgegen der Vorhersagen veröffentlichte die Haushaltsstrukturkommission (HSK) bereits am Dienstagabend das Ergebnis ihrer wochenlangen Sitzung – die so genannte Giftliste. In einem Dokument, das 42 Seiten umfasste, war die Privatisierung des UKSH nur noch ein kleiner Punkt. Was die Feierlaune viel mehr drückte war die Aussage: „Das Medizinstudium wird auf Grund der begrenzten Ressourcen bei der Förderung exzellenter Forschung und Lehre nach Kiel verlagert. […] Ab dem Wintersemester 2011/2012 werden deshalb keine neuen Studienanfänger für Medizin in Lübeck immatrikuliert. Wesentliche Haushaltsentlastungen treten ab 2015 mit ca. 24 Millionen Euro und ab 2018 mit ca. 26 Millionen Euro ein. Das Gesamtvolumen bis 2020 beträgt rund 150 Millionen Euro. Das Profil der Universität Lübeck wird im mathematisch-naturwissenschaftlichen sowie im medizintechnischen bereich insbesondere durch die Verbindung mit dem geplanten Fraunhofer Institut für marine Biotechnologie gestärkt.“ (Zeilen 892 ff.)

Die Sitzung wurde lang. Vom Schock noch gelähmt, musste irgendwie gehandelt werden. Der erste Schritt war es, ein Statement zu verfassen, das die Einspar-Pläne der HSK aufs schärfste kritisierte. Bis tief in die Nacht wurde diskutiert. Was die Pläne für die Universität bedeuteten, war allen schnell bewusst. Wie dagegen vorgegangen werden sollte, blieb zunächst offen. Nur eins war klar: Es musste etwas geschehen und es muss bald geschehen. Je länger die Universität auf der Streichliste bleibt, desto größer der wirtschaftliche Schaden, desto schlimmer die Zerstörung des bisher herausragenden Rufs.

Bereits einige Tage zuvor hatte der Präsident, Prof. Peter Dominiak, zu einer hochschulöffentlichen Senatssitzung geladen, um die Ansichten von Präsidium und Verwaltungen zu den Privatisierungsplänen zu erläutern. Diese für Mittwoch angesetzte Sitzung hatte über Nacht eine ungeahnte Brisanz entwickelt. Der Hörsaal Z1/2 platzte schnell aus allen Nähten und spontan wurde der Umzug in den Hörsaal AM1 beschlossen. Doch auch dort fanden nicht alle Interessierten einen Sitzplatz, Treppen und Zwischenräume waren voll mit stehenden Zuhörern. Sichtlich um Fassung bemüht, informierte der Präsident über die Lage. Es sei in keiner Weise abzusehen gewesen, was die HSK plane, selbst Präsidium und Verwaltung seien von der Giftliste aus heiterem Himmel getroffen worden. Dominiak verlas ein Statement, welches er auch den Mitgliedern der Hochschulrektorenkonferenz sowie der Deutschen Forschungsgesellschaft und wichtigen Vertretern von Forschung und Lehre in Deutschland geschickt hatte. Dann wurde das Wort an das Auditorium gegeben, das viele gute Ideen und Vorschläge zusammen trug. Der Kampf für die Uni hatte begonnen – das war jedem im Hörsaal bewusst.

Für den AStA stand eine weitere Nachtschicht an. Irgendwie koordinieren, irgendwie Struktur in den Kopf kriegen. Bereits jetzt trudelten Mails von Studenten, Dozenten und Lübecker Bürgern ein. To-Do-Listen wurden an die Pinnwände gehängt, Helferlisten erstellt. Bis dato war keinerlei Infrastruktur vorhanden. Lediglich die URL www.luebeck-kaempft.de und einige gelbe Plakate waren von den Demonstrationen 2005 noch vorhanden. Bis nach 3 Uhr morgens wurde die komplette Homepage wieder instand gesetzt und mit allen bisher erreichbaren Informationen gefüttert.

Bereits vor der Senatssitzung war bekannt geworden, dass am Donnerstagabend der FDP-Fraktionsvorsitzende des Landes und Mitglied der HSK Wolfgang Kubicki beim Verband der Selbstständigen und Freiberufler e.V., der im Scandic Hotel tagte, eine Rede halten sollte. Die Idee, einen Flash- oder Smartmob zu veranstalten, entstand. Wie genau das ablaufen sollte, wusste nachts noch keiner, doch wurden schon einmal die Studenten per Mail vorgewarnt, dass Interessenten am späteren Nachmittag doch noch einmal ihren Posteingang für Infos checken sollten.

Der Donnerstag war der Tag der Informationsaufbereitung. Über Nacht waren über 100 Mails eingetroffen, die durchgesehen und beantwortet werden wollte. Es wurden Presseberichte verfasst, die Homepage wurde auf den neuesten Stand gebracht. Alle paar Minuten kamen hilfsbereite Studenten ins AStA-Büro, um Flyer und Plakate abzuholen. Der Kopierer lief heiß, die Finger waren an den Flyern bald wund gefaltet. Langsam entstand auch Kontakt zu anderen StuPas und ASten im Land, die informiert sein wollten. In der Zwischenzeit wurde auch Kontakt zum Scandic aufgebaut und einige Studenten konnten sich auf die Gästeliste des abendlichen Vortrags schreiben lassen.

Währenddessen hielt das Präsidium eine Pressekonferenz ab, auf dem mit Linda Krause auch der AStA vertreten war. Noch einmal wurde der Erschütterung Ausdruck verliehen. Kanzler Oliver Grundei betonte, das Präsidium sei aus absolut heiterem Himmel getroffen worden, ohne eine Chance zu handeln. Zwar sei ein Verdacht aufgekommen, als der Landesregierung über eine Woche die Verfassung der Stiftungsuniversität vorlag, diese aber weder unterzeichnet noch kommentiert wurde. Dass es die Uni jedoch so hart treffen könne, damit hatte keiner gerechnet. Präsident Dominiak stellte erstmals einige Zahlen in den Raum. Diese waren zwar nur grob überschlagen, doch machten sie unweigerlich klar, wie die ganze Region um Lübeck herum mit der Uni verknüpft ist. Die wichtigsten Arbeitgeber hängen mit der Medizin (UKSH) oder der Medizintechnik (Dräger, Euroimmun) zusammen: Im Schlimmsten Fall könnten der Region rund 10600 Arbeitsplätze verloren gehen, von der Gewerbesteuer, die das Land beim Wegfall dieser Firmen verlieren würde, gar nicht zu reden.

Währenddessen erreichte die AStA-Vorsitzende eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Ingo Hoffmann, ob von Seiten der Studierendenschaft Interesse bestünde, an der Bürgerschaftssitzung teilzunehmen. Dieses Angebot wurde gerne angenommen und nachmittags versammelten sich rund zehn Studenten im Sitzungssaal des Rathauses. Dort stellten sowohl die Linke als auch die CDU einen Antrag, die Bürgerschaft solle sich gegen die Abwicklung des Medizinstudiengangs in Lübeck und gegen die Privatisierung des UKSH aussprechen. Dieser Antrag wurde einstimmig, ohne Enthaltung angenommen. Im Anschluss wurde noch entschieden, dass die Bürgerschaft ihre nächste Sitzung im Kieler Landtag abhalten wird, wo auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen teilnehmen soll.

Der Abend kam näher und vor dem Scandic Hotel sammelten sich vereinzelte Studenten. Schick gekleidet, um zwischen den Selbstständigen und Freiberuflern nicht aufzufallen, warteten sie in der Hotel-Lobby auf Einlass. Später im Konferenzraum senkten sie das Durchschnittsalter erheblich verhielten sich aber zunächst noch ruhig. Wolfgang Kubicki muss trotzdem klar gewesen sein, was ihm bevorsteht, denn gleich zu Beginn seines Vortrags wies er darauf hin, dass er am Ende jegliche Fragen beantworten wird. Rund 20 Minuten konnte er referieren – was er relativ gelangweilt und rhetorisch schwach auch tat. Als die Sprache auf das Sparpaket kam und Kubicki durchblicken lies, dass es ausreichend wäre, einfach die Medizin nach Kiel zu verlagern, war die Diskussion eröffnet. Linda Krause wies in sehr bestimmt darauf hin, wie eng die Studiengänge verknüpft sind und dass eine Profilstärkung utopisch sei, da alle anderen Fächer auf die Medizin aufbauen. Ähnliche Stimmen wurden laut. Kubicki verhielt sich, wie man es von einem Politiker erwartet: Er hielt sich bedeckt, seine Aussagen waren schwammig und das jeweilige Gegenüber musste das Gefühl bekommen, selbst keine Ahnung zu haben. Nach einigen entrüsteten Studenten meldete sich auch Dr. Frank Niebuhr, der den Lehrauftrag für Allgmeinmedizin der Universität hat, zu Wort. Er allein sprach einige Minuten frei und ohne unterbrochen zu werden und dem FDP-Fraktionsvorsitzenden war anzusehen, dass ihm die Argumente ausgingen. Resigniert legte dieser seine Brille zur Seite, seine Rede würde er wohl nicht mehr weiter vorlesen müssen. Währenddessen waren von draußen Pfiffe, Applaus und laute Rufe zu hören: Der Mob, der per Mail zu einem spontanen, friedlichen Aufmarsch animiert worden war, hatte sich offensichtlich versammelt. Von innen wurden die wichtigsten Informationen nach außen getwittert, die Tweets wurden außen per Megaphon verlesen – und ließen die Menge jubeln. Zwischenzeitlich betrat ein Polizist den Raum, der sich vor der Hintertür kurz mit Kubicki über das weitere Vorgehen besprach. Letzterer betonte jedoch, er werde sich der Masse vor der Tür stellen. Dies hatte zuvor schon Hauke Paulsen, Physik-Dozent seines Zeichens, gefordert: „Ihr Kollege Austermann hatte bei der Demonstration 2005 wenigstens das Format, sich auf dem Koberg öffentlich auspfeifen zu lassen.“ Seinen Worten lies er kurz darauf Taten folgen und trat vor die wütenden Studenten vor dem Hoteleingang. Er lies sich das Megaphon geben und nahm Stellung zu fast allem, was ihm an den Kopf geworfen wurde. Zwar schienen ihm nach wie vor wichtige Informationen zu fehlen, dennoch hielt er stand. Nach der Ansprache gab Kubicki dem StuPa-Präsident Niklas Finck seine private Visitenkarte und betonte erneut, dass er für Diskussionsrunden mit Studenten zur Verfügung stehen wird.

Die mit dem bisherigen Verlauf sichtbar zufriedene Meute von rund 700 Studenten nutzte die Chance und zog – untermalt von einem Klingel-, Pfeif- und Rufkonzert – zum Rathausmarkt, wo noch einmal die Aussagen von Kubicki und aus der Bürgerschaft rekapituliert und die Studenten zum weiteren aktiv sein motiviert wurden. Dann kündigte sich auch noch hoher Besuch an: Bürgermeister Bernd Saxe bestätigte den Beschluss der Bürgerschaft und sicherte den Demonstranten unter großem Jubel jegliche Unterstützung zu. Erst nach 22 Uhr löste sich die Versammlung langsam auf.

Am Freitag sollte es erstmal ruhiger werden. Langsam kehrte eine gewisse Routine ein und die Organisatoren konnten wenigstens ein bisschen aufatmen. Nach wie vor stellten sich unglaublich viele Studenten zur Verfügung, um mitzuhelfen, dass gelbe Flyer und Plakate über das Stadtgebiet verteilt wurden. Gleichzeitig machten sich die Gremienmitglieder zu einem gemeinsamen Wochenende auf, das zwar schon vor Wochen geplant wurde, nun aber eine traurige Brisanz erhalten hatte. In Kappeln, unweit von Kiel sollte die erste Kampfwoche zu Ende gehen, zu tun gab es allerdings noch genug. Inzwischen wurde eine Demonstration für den 16. Juni vor dem Landtag in Kiel angemeldet. Diese wurde organisiert, ebenso wie die Kommunikation zu wichtigen Unternehmern und Persönlichkeiten, mit jeder nur erdenklichen Verbindung zur Universität. Mit einiger Freude nahmen die Mitgereisten zur Kenntnis, dass Kubicki zurück zu rudern beginnt.

Außerdem kam Besuch aus Kiel: Zwei Vertreter der Fachschaft Medizin besuchten die Lübecker Gremien und bekundeten ihre Solidarität und ihre Hilfsbereitschaft. Gemeinsam wurde besprochen, wie man für die Demo auch Kieler Studenten mobilisiert, ob man am Vorabend eine Party auf die Füße stellen kann und wo Lübecker Studenten über Nacht unterkommen könnten. Große Freude bereitete das Gastgeschenk der Kieler: Auf einer Medizinerparty am Abend zuvor wurde spontan ein gelbes Laken organisiert, auf das mit großen, schwarzen Lettern “… Kiel kämpft mit” geschrieben wurde, gesäumt von den Unterschriften Kieler Mediziner.

Der Kampf wurde aufgenommen und alle sind zuversichtlich, dass er mit der gleichen Macht weitergehen wird. Für die nächsten Wochen können sich Demonstranten und vor allem auch Politiker noch auf einiges gefasst machen.

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