Woche 5 – Rücktritt! Rücktritt!

30. Juni 2010 | Von Susanne | Kategorie: Berichte, Featured article | Letzte Änderung: 6. Juli 2010 um 14:53 Uhr

Die große Demonstration in Kiel ist vorbei und hat eine neue Zeitrechnung eingeläutet: Wir befinden uns in Woche 5 von „Lübeck kämpft“ und in Woche 1 nach der Demo. Die kleine Verschnaufpause nach der Großaktion war voll und ganz verdient, doch langsam muss es weitergehen, im Kampf gegen die Obrigkeit.

Da passt es auch ganz gut, dass am Dienstag der 5. Woche eine Personalversammlung von Uni und UKSH stattfindet, zu der Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Jost de Jager als Gastredner geladen war. Die Sitzung sollte eigentlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, doch die Personalräte hatten sich bereit erklärt, einer Tonübertragung vor das Audimax sowie einer Übertragung in Ton und Bild im Foyer des Audimax zuzustimmen. So füllte sich der Vorplatz erwartungsgemäß mit Studenten, die dem für sie zuständigen Minister lauschten. Zudem war geplant, de Jager nach seiner Rede auf der Treppe vor dem Haupteingang zur Rede zu stellen – und er kam tatsächlich heraus. Das beeindruckendste an seinem Auftritt war noch die Wolke aus Personenschützern und zivilen Polizisten, die ihn umgab. Seine Antworten auf die von Matthias Salzenberg gestellten Fragen waren schwammig und fadenscheinig wie gewohnt. Auf die Frage, ob er die finanziellen Risiken berechnet habe, bedankte er sich erst einmal für die Einladung, zu sprechen. Auf die Nachfrage, ob er sich einfach mit einem Ja oder Nein äußern könnte, erklärte er, er lasse sich seine Antworten nicht diktieren. Als Matthias daraufhin begann, ihm aus dem Koalitionsvertrag und den Wahlversprechen vorzulesen, versteinerte zwar die Miene des Ministers, handfeste Äußerungen blieben jedoch aus. Später sollte sich auch der Personalrat in einer Pressemitteilung beklagen, dass aus dem Minister nichts neues herauszukriegen war.

Was de Jager nicht für möglich hält, schafft die Industrie- und Handelskammer in wenigen Tagen. Diese veröffentlichten am Donnerstag eine Umfrage unter den rund 1000 in Lübeck ansässigen unternehmen in Medizin, Medizintechnik- und Gesundheitswesen. Diese beschäftigen in der Region rund 23000 Arbeitnehmer, die einen Gesamtumsatz von rund 4 Milliarden Euro erwirtschaften. Davon nahmen 110 Unternehmen (15000 Angestellte, Umsatz von 1,6 Mrd.) an der Umfrage teil. Ergebnis: 92 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass durch den Wegfall der Medizin der Lübecker Universitätsstandort gefährdet ist. 30 Prozent der befragten Firmen stehen in engem Kontakt zur Uni und sind zumeist auch eng durch gemeinsame Projekte verflochten. 19,1 Prozent der Befragten werden aus diesem Grund eine Verlagerung des Unternehmens in andere Bundesländer in Erwägung ziehen, was enorme Einbusen für die Hansestadt und das Land Schleswig-Holstein bedeuten würde. Allein durch die Diskussion erwarten 86 Prozent der Befragten ernst zu nehmende Imageschäden für die Region, was das weitere Einwerben von Investitionen gefährden könnte. Die IHK beweist also, dass die Argumente von Lübeck kämpft offensichtlich stichhaltiger sind, als die des Ministeriums.

Ebenfalls am Donnerstag fand eine weitere Exilvorlesung statt. Unter dem Motto: “Wir lassen uns nicht verschiffen, wir werfen den Anker” hatte Physik-Prof Christian Hübner auf die Passat eingeladen, wo er für die MLSler und die MIWler des 4. Semesters seine Biophysik-Vorlesung abhielt. Im Anschluss daran ging es für die mitgereisten Mediziner mit dem planmäßigen Programm in Biochemie und Physiologie unter Deck weiter, während die anderen dem Neuroinformatiker Prof. Amir Mamlouk und seinem Vortrag “Vom Zuhören und Verstehen – das Cocktailpartyproblem” lauschen durften. Während der ganzen Fahrt waren die Schiffsreisenden bester Laune und genossen die Vorlesungen außerhalb des Hörsaals, während sie gleichzeitig ein Zeichen für ihre Uni setzen konnten.

Währenddessen fand in Kiel die weltweit bekannte und beachtete Kieler Woche statt. Bereits am vergangenen Samstag hatten einige gelbgekleidete Demonstranten Ministerpräsident Carstensen bei der Eröffnung merken lassen, dass wir immer und überall sein können. Und dies zog sich auch über die gesamte Kieler Veranstaltung hin: Zahlreiche Studenten, aber auch Mitarbeiter von Klinikum und Uni verbrachten einige Zeit in der Landeshauptstadt, um den Besuchern des Segelspektakels die Situation zu erklären, Flyer zu verteilen und Unterschriften zu sammeln. Zudem nahmen Segelboote mit gelben Bannern geschmückt an der Windjammerparade teil: ein Spektakel, das mit Sicherheit medienwirksam ist! Zum Kampf an Land und auf dem Wasser gesellte sich außerdem ein Flugzeug, das an einigen Tagen über der Förde kreiste und ein riesiges Banner hinter sich herzog – dieses konnte von den Besuchern kaum übersehen werden.

Zeitgleich mit der Kieler Woche fanden in Lübeck die Gremienwahlen statt. Dabei hatte der Kampf nicht nur vielen Studenten die Gremienarbeit näher gebracht, sondern auch viele animiert, ihre Stimme abzugeben. Mit einer Beteiligung von 44,5 Prozent können sich die Gewinner der Wahl als tatsächlich durch die Studierendenschaft legitimiert rühmen. Außerdem korrigiert Lübeck damit den bundesweiten Durchschnitt der Wahlbeteiligungen deutlich nach oben.

Kaum ist die eine Demo vorbei, wird in der 5. Woche auch schon der nächste Aufmarsch geplant: Am 1. Juli findet in der St. Petri-Kirche eine Podiumsdiskussion mit den Herren de Jager und Kubicki statt. Zeitgleich soll es einen Sternmarsch auf die Altstadtinsel geben, bei dem friedlich aufgezeigt werden soll, dass die Stadt hinter der Uni steht: Eine Stadt trägt gelb!

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