Sternmarsch: Lübeck geeint für seine Uni

2. Juli 2010 | Von Lukas Ruge | Kategorie: Berichte, Demo, Featured article, News | Letzte Änderung: 3. Juli 2010 um 00:32 Uhr

Eine Stadt trägt Gelb. Am Donnerstag haben über 10.000 Lübecker bei einem Sternmarsch und einer Podiumsdiskussion in der Petrikirche teilgenommen. Geeint sprach sich die Stadt gegen die Schließung des Medizinstudiengangs an der Universität zu Lübeck aus, da sie das Aus für die gesamte Uni, den Verlust tausender Arbeitsplätze und erhebliche wirtschaftliche Schäden für das Land und die Region bedeuten würde.

An 4 Orten außerhalb der historischen Altstadt hatten sich um 18:00 Uhr Demonstranten eingefunden, um in einem Sternmarsch auf den Rathausplatz zu gehen. Sie waren im Gelb der lübschen Protestbewegung gekleidet. Die Polizei rechnete mit einer durchweg friedlichen Kundgebung, es waren weniger als 300 Polizisten im Einsatz. An den Demonstrationszügen nahmen der FDP-Abgeordnete Gerrit Koch, der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner und Bürgerschaftsabgeordnete aller Fraktionen teil. Gegen 18:30 trafen die Züge am Rathaus ein.

In der Petrikirche hatten ab 18:30 Uhr Wolfgang Kubicki (Fraktionsvorsitzender der FDP in Schleswig-Holstein), Cordula Andreßen (Staatssekretärin im Wissenschaftsministerium), Bernd Saxe (Bürgermeister von Lübeck), Prof. Dr. Peter Dominiak (Präsident der Universität zu Lübeck) und Linda Krause (Vorsitzende des AStA der Universität zu Lübeck) an einer Diskussionsrunde teilgenommen.  Thema war die Zukunft der Lübecker Universität.

Zwar hatten am Morgen zwei Abgeordnete der Regierungsfraktionen, unter ihnen Gerrit Koch, bekundet, sie würden nicht für ein Sparpaket stimmen, welches die Universität gefährdet und damit den Sparplan der mit einer Stimme Mehrheit agierenden Regierung de facto gekippt, aber die Regierungsvertreter ließen sich davon nicht beeindrucken. Während Staatssekretärin Adreßen in der Diskussion keinen Faden zu finden schien und offensichtlich unvorbereitet und völlig überfordert war, machte der Fraktionsvorsitzende Wolfgnag Kubicki klar: Wenn kein anderes Paket, welches er für gut befinde, existiere, würde er für den derzeitigen Sparplan stimmen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Christian von Boetticher, der der Diskussionrunde ebenfalls beiwohnte, schien über die Stimmung in seiner Fraktion überhaupt nicht informiert zu sein: An das Vorhandensein von Abweichlern glaube er nicht. Dass es schon lange in der Fraktion brodelt, ist kein Geheimnis, es schien lediglich dem Fraktionsvorsitzenden eines zu sein.

Geschickt argumentierten dagegen Linda Krause, Bernd Saxe und Peter Dominiak für ihre Uni und konnten die Argumente der letzten Wochen noch einmal vereint vorbringen. Bernd Saxe veranschaulichte den wirtschaftlichen Schaden und versuchte die Regierungsvertreter dazu zu bringen zu erklären, wie dieser abgewandt werden könnte. Keiner der anwesenden Vertreter der Regierung war dazu in der Lage. Genausowenig konnten sie die Argumente von Linda Krause entkräften, die über die verzahnten Studienangebote sprach und darüber, wie die Medizinerausbildung auch für die Naturwissenschaften in Lübeck von essenzieller Wichtigkeit ist. Oft hatte es den Anschein, die Gegenseite habe das Studienangebot in Lübeck bisher nicht im Detail angesehen oder verstanden.

Dominiak fragte schließlich die Staatssekretärin, warum diese begründungslos der Universität verweigert habe sich für die Exzellenzinitiative zu bewerben, auch hierauf konnte sie keine Antwort geben.

Die Radioübertragung der Diskussionrunde wurde von tausenden Menschen auf dem Rathhausmarkt mitverfolgt, die die Äußerungen mit Jubel oder hämischem Gelächter kommentierten. Die Stimmung war entspannt. Auf einer Leinwand wurden Bilder der letzten Wochen gezeigt, als die Radioübertragung kurz abbrach, sang man ein Lied der Protestbewegung, welches den Rücktritt von Wissenschaftsminister de Jager fordert. Ebenso verfolgten ca. 200 Menschen vor der Petrikirche die Diskussion, die mit Lautsprechern auf den Vorplatz übertragen wurde. Vor der Kirche wurden auch tausende gelbe Blumen niedergelegt.

Nach Abschluss der Veranstaltung verstummten die Pfeifen, Vuvuzelas, Trommeln und Sprechchöre für 5 Minuten der Ruhe. Geradezu gespenstisch standen die gelben Demonstranten während die Marienkirche mahnend läutete und ein Banner von ihrem Turm herabgelassen wurde.  Ein denkwürdiger Moment für diesen bisher so lauten Protest, der noch einmal symbolisieren soll, dass die Lage ernst ist: Mit der Uni Lübeck droht eine Region zugrunde gehen.

Gerrit Koch ergriff zum Ende der Veranstaltung auf Einladung der Veranstalter das Mikrofon und erklärte seine Position. Auf Nachfrage von AStA-Vetrteter Matthias Salzenberg machte er deutlich: Ein Sparpaket, welches die Existenz der Universität gefährde, wie es der aktuelle Vorschlag tut, werde von ihm keine Stimme erhalten.

Kubicki, von Boetticher und die Staatssekretärin mussten beim Verlassen der Kirche die ausgelegten Blumen zertrampeln, ein weiteres Symbol dafür, dass mit ihrer Politik eine blühenden Wirtschafts- und Forschungslandschaft mit Füßen getreten wird. Während Kubicki und Andreßen Lübeck schnell verließen, diskutierte der Fraktionsvorsitzende der CDU, Christian von Boetticher, bis in die späte Nacht mit Demonstranten in der Studentenkneipe „Der Blaue Engel“.

Mit den Abweichlern in den Landtagsfraktionen, dem großen Widerstand in der Bevölkerung, den offensichtlichen Fehlern in der Kalkulation ihrer Sparvorhaben und der Unfähigkeit diese einzugestehen oder zu korrigieren hat die Regierung ihre eigene Handlungsfähigkeit verspielt und sich unmöglich gemacht. Nun müssen die Konsequenzen gezogen werden.

11 Kommentare
Hinterlasse einen Kommentar »

  1. Wäre cool zu erfahren was in der Diskussion mit von Boetticher noch so besprochen wurde und ob er noch was interessantes gesagt/”argumentiert” hat. Gibts da vielleicht jemanden, der davon berichten kann?

  2. Was kam den bei der Diskussion mit Herrn Christian von Boeticher heraus? Konnte er seine Position aufgrund von guten Argumenten evt. überdenken bzw. versprach er Denkanstöße mitnehmen?Hoffe es war nicht nur das schon zur Normalität verkommene wiederholen der immer gleichen Phrasen.

  3. Leider konnte ich beim Sternmarsch nicht dabei sein.
    Worüber ich mich sehr freue, ist die wirklich beeindruckende Medienpräsenz von gestern und heute gerade auch überregional. So langsam scheinen die Vorgänge hier oben überall auf Interesse zu stoßen, bester Beleg die Erwähnung in der Tagesschau gestern.
    So muss es weitergehen!
    Beste Grüße aus Kiel.

  4. Wirklich beschämend, wie sich Cruella – entschuldigung – Cordula Andreßen herumgewunden hat… Wenn bei de Jager noch das Gefühl hatte, er wüsste, was er da für einen kapitalen Fehler begeht, hat sie anscheinend überhaupt keine Ahnung von dem was sie tut.

    Mit Minister Marnette wären diese ganzen Aktionen mit Sicherheit überhaupt nicht nötig gewesen, weil die Universität dann nie auf dieser Lister gestanden hätte…
    Aber wie heißt es so schön: Wenn die Klügeren immer nachgeben, wird das Land am Ende von den Dummen regiert… Leider trifft das ja auch auf den Universitätsrat SH zu…

    Wer kann diese Dösköppe in Kiel noch beraten, geschweige denn beeinflussen, wenn nicht diese Leute?!?!?!

    Wir kämpfen weiter, bis die Mauer aus Dummheit und Ignoranz endlich bricht!
    LÜBECK KÄMPFT!

  5. Herr von B̦tticher hat sich nicht von seinem Standpunkt wegbewegt Рwie auch zu erwarten war.

  6. 3 von uns haben mit Herrn von Bötticher den ganzen Abend verbracht. Die Diskussion begann auf dem Vorplatz der Petri-Kirche, und verlagerte sich dann in den Blauen Engel … an dem Abend wohl Hauptquartier der gelben Shirts :) Es ging ziemlich viel hin und her in der Diskussion, was auch kein Wunder war, da es allen Beteiligten doch sehr auf den Nägeln brannte. Leider führte das aber dazu, dass einige in der Runde selbst mehr redeten als er, was für ihn natürlich bequem war. (also, wenn Ihr mal in einer ähnlichen Situation seid: Fragen, Fragen, Fragen, und das eigene Redebedürfnis im Zaum halten!) Dass er seinen Standpunkt nicht verändert hat, könnt Ihr Euch ja denken, aber an Argumenten schien er durchaus interessiert zu sein, jedenfalls hat er mich gebeten, ihm die nochmal schriftlich nachzureichen. Ich werde gerne die Tage noch mal einen ausführlicheren Bericht schreiben.

  7. Wann werden unsere schleswig-holsteinischen PoltikerInnen endlich begreifen, dass es sich hinsichtlich des Themas “Bildung” nicht um Kosten sondern um Investitionen handelt (WIRKLICH!!). Vielleicht sollten wir sie anstatt in die Wüste lieber nach Bayern in einen mehrwöchigen Kursunterricht in eine öffentliche Schule schicken (Projektwochen wären gut). Mir kommt diese Gefasel allmählich zu den Ohren heraus. Bei jeder Veranstaltung höre ich dieselbe Leier, und PHC genießt die Flitterwochen mit seiner jungen Braut anstatt sich als Landesvater zu zeigen und endlich Verantwortung zu übernehmen.
    @ Herrn den Jager: was halten Sie davon, sich mit einer exzellenten Universität (gemeint ist die Uni Lübeck) zu profilieren. Sie könnten beispielsweise Namenspate werden. Es muss also nicht unbedingt die Fehmarnbeltbrücke sein, welche übrigens bis zur Fertigstellung noch eine Weile braucht. Im Gegensatz dazu existiert die Uni Lübeck bereits (ich bitte um Verzeihung, sollte mein Sarkusmus zu beißend rüberkommen, aber ich habe die Sch…. gestrichen voll.)

  8. Ich komme aus Kiel und es war klasse zu sehen, was für tolle Bilder in Lübeck aufgenommen werden können. Ich habe gebannt geschaut, ob ich mich bei der kieler Demo hätte finden können. Weiter so!

  9. Mehr gelb geht fast nicht -auch in Hamburg ist der Kampf um Lübeck nicht zu überhören! Wär ja schön, wenn sich die Landesregierung in Kiel dann mal ernsthaft auf die Argumente aus Lübeck einlässt. So oder so – auch aus der anderen Hansestadt solidarische Grüße.

  10. Hallo,
    ersteinmal einen riesen Dank an alle fleißigen Helfer und Organisatoren der Demos und Aktionen! Die Präsenz darf jetzt nicht weniger werden! Da aber unserer Studenten bald ihre Klausuren haben müssen wir wenn möglich ganz viele weiter machen. Ein Tip von mir: Bastelt Euch eine Ich kämpfe für die Uni Lübeck Auto-Fahne. Die Fußball WM ist bald vorbei dann könnt Ihr diese Stäbe nehme. Ich und mein Mann fahren seit 2 Wochen mit so einer Autofahne durch Lübeck und Umgebung. Viele schauen meinem schwarzen Audi 100 und dem Auto von meinem Mann mit gelber Autofahne nach. Es ist gar nicht schwer sich so eine Fahne selbst zu basteln. Ich habe beim Asta gefragt was für einen Fahnenstoff sie haben und dann auch gleich welchen bekommen. Nochmal vielen Dank. Einfach eine Deutschlandfahne als Größenmaßstab nehmen, die Seiten umnähen. Schriftzug auf Fahnengröße vergrößern, unter die Fahne legen und den Schriftzug mit einem Edding 3300 abpausen. Danach an den Mast nähen und fertig ist die Autofahne. Jeder einzelne kann kann helfen denn wenn erstmal die Studenten weg sind dann geht es um die Uni-Mitarbeiter. Und dieses können dürfen und wollen wir nicht zu lassen! Also bitte helft und haltet zu der Uni-Lübeck !!!

  11. [...] Von einem echten Dialog kann doch keine Rede sein. Bei der besagten Diskussion sind keine wirklich neuen Punkte genannt worden. Zu Beginn der Proteste sind wir mit einigen Bussen nach Berlin gefahren, wo Jost de [...]