Woche 4 – De Jager, Versager!

23. Juni 2010 | Von Susanne | Kategorie: Berichte, Demo, Featured article | Letzte Änderung: 23. Juni 2010 um 15:49 Uhr

Der Countdown läuft!

Unaufhörlich tickt am Anfang der vierten Kampf-Woche der Countdown auf der Homepage. Kiel kommt immer näher, die Demonstration – der Stichtag –  immer mehr in greifbare Nähe. Doch allein mit der Großdemo sollte es ja nicht getan sein, wo doch das ausgesprochene Ziel war, immer und überall präsent, laut und gelb zu sein. Und so wurde gleich am Anfang der Woche der Beweis angetreten, dass wir auch spontan und schnell sein können:

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Christian von Boetticher nahm an einer Preisverleihung der Sparkasse im Rathaus teil und sollte vor dessen Türen empfangen werden, wie Kubicki vor dem Scandic. Dass er dort sein würde, war schon eine Weile bekannt, es war jedoch in der Flut an Aktionsideen irgendwie untergegangen. So war es eher eine Hauruck-Aktion, die rund 70 Studenten in der Breiten Straße auftauchen ließ. Mittlerweile war ja mit dem T-Shirt-Verkauf auch die Ausgabe von Trillerpfeifen angelaufen und so wurde es teilweise doch sehr unangenehm für die Ohren der Umstehenden. Doch Boetticher nahm das verhältnismäßig gelassen und verweigerte sich nicht der Masse. Zunächst bat er die anwesenden AStA-Mitglieder als Diskussionsteilnehmer zu sich. Doch auch die anderen Studenten wollten ihrem Unmut Luft machen und ihre Argumente anbringen. Boetticher gab sich dabei durchaus Mühe, alles zu beantworten, doch war das Fazit das gleiche, wie bei allen anderen Politikern auch: Er schlug vor, sich mal in aller Ruhe hinzusetzen und die Zahlen gemeinsam durchzugehen, damit auch die Studenten verstehen könnten, dass es notwendig sei zu sparen.

Klare Signale kamen hingegen etwa zeitgleich von Bundesbildungsministerin Anette Schavan (CDU). Einem dpa-Artikel nach zu urteilen hatte diese eine Unterredung mit Peter Harry Carstensen in Berlin. Dabei sprach sie sich deutlich für den Erhalt der Universität zu Lübeck aus, schon allein, um den von der Bundesregierung angestrebten Ausbau der Medizinerausbildung nicht zu unterbinden. Klare Worte, die dennoch nur eine Empfehlung sein können, denn Bildung ist und bleibt Ländersache – die Entscheidung bleibt also in Kiel.

Während Boetticher sich wieder aufmachte, die Stadt zu verlassen und PHC sich mit der Bundesmeinung auseinander setzte liefen im AStA die letzten Vorbereitungen für den großen Tag. Das Telefon stand kaum still, die Demonstranten meldeten sich für Busse und Züge an, stapelweise gingen ausgefüllte Unterschriftenlisten ein, der letzte Feinschliff an der Koordination der Demo wurde erledigt. Dazu gehörte auch die Pressearbeit: Vor und nach der Demo sollten Pressekonferenzen am Bahnhof beziehungsweise am Landeshaus stattfinden. Dafür wurden Pressemappen gestaltet mit Statements, Fakten, Berichten, …

Und dann war es so weit: Mittwoch – Demo – Stichtag!

Während 30 wackere Sportler sich mit flaggenbehängten Rädern klingelnd aus der Stadt verabschiedeten, fuhren auf dem Parkplatz an der MUK die ersten Busse ein und auch am Hauptbahnhof war jeder Zug mit Fahrtziel Kiel ein bisschen gelber als der vorherige. Richtig voll wurde es dort schließlich, kurz bevor der von Prof. Hilgenfeld organisierte Sonderzug aus Münster einrollte. Es sollte nicht lange dauern, bis dieser von rund 1000 Personen gestürmt werden sollte und die Verantwortlichen waren in absoluter Alarmbereitschaft – zumal kurz vor der Einfahrt die Durchsage kam, dass der Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis ankommen sollte. Doch alle Sorgen waren unbegründet: Wie mit dem Lineal gezogen standen alle brav aufgereiht auf Gleis 2 und harrten der Dinge. Innerhalb kürzester Zeit war der Zug voller gut gelaunter Menschen und es musste lediglich darauf gewartet werden, dass die Lok vom einen Ende ab- und ans andere Ende angekoppelt wurde. Schon bald konnte die Fahrt losgehen: Das Pfeifkonzert war fröhlich, schwoll jeweils an den größeren Bahnhöfen deutlich an und erreichte das Maximum bei der Einfahrt in Kiel. Dort war Präsident Dominiak der erste, der den Sonderzug verließ und wurde von der fast schon frenetisch jubelnden Menschenmenge am Bahnhof herzlich empfangen.

Zu diesem Zeitpunkt war der Bahnhofsvorplatz bereits in ein dezentes Gelb gehüllt, stellte er doch den Übergang zur Auguste-Viktoria-Straße dar, wo das Vorprogramm bereits in vollem Gange war. Ein Showtruck, der sonst für die Love-Parade fährt, diente als Bühne und so wirkte es fast wie eine zufällige Party in einer Seitenstraße. Doch bald sollte es politisch werden. Pünktlich um 15 Uhr betrat Peter Dominiak die obere Ebene des gelb geschmückten Fahrzeugs und begrüßte die Studenten und Mitarbeiter von Uni und UKSH sowie alle anderen Demonstranten. Ihm gleich taten es Niklas Finck, der StuPa-Präsident, und Bürgermeister Bernd Saxe, welcher die Demo dann auch gleich ins Rollen brachte.

Langsam bewegte sich der Tross nun Richtung Norden, immer in der Nähe der Förde. Wer Zutritt zur oberen Ebene des Trucks hatte, konnte die unglaublichen Massen bewundern, die sich hier durch die Straßen wanden – ein gelber Lindwurm, der die Stadt durchzog. Polizeischätzungen zufolge musste bereits hier von einer Zahl von knapp 10000 Demonstranten ausgegangen werden. Eine Zahl, die zwar angestrebt, aber nie für wirklich möglich gehalten worden war. Die Stimmung war gut, die Leute friedlich. Lediglich die Trillerpfeifen dürften im Nachhinein das eine oder andere Trommelfell auf dem Gewissen haben… Etwa auf halber Strecke war ein Zusammentreffen der Schleswig-Holsteinischen Universitäten geplant: Am Schlossgarten stießen die Demonstranten aus Kiel und Flensburg, die sich zuvor an der Kieler Uni getroffen hatten, zum Zug hinzu. Wie auch bei den Lübeckern wurde ihr Tross von einem Sarg angeführt und so vereinigten sich die in violett gekleideten Totengräber mit den gelben. Der Zwischenstopp wurde auch für erste Kundgebungen genutzt. Der erste, der das Mikro ergriff war Uwe Polkaehn vom DGB Nord. Der Gewerkschaftsvertreter sprach über das Leben auf Pump und die Arbeitsplätze, die mit der Universitätsschließung verloren gingen. Es folgten die Begrüßungsreden eines Kieler Studenten sowie zweier Vertreter von der Uni und der FH in Flensburg. Schließlich war es an Linda Krause, der Lübecker AStA-Vorsitzenden, den Sturm auf den Landtag auszurufen und so setzte sich die mittlerweile rund 14000-köpfige Menschenmasse in Bewegung zum finalen Angriff.

Als der Tross am Landeshaus ankam, hatten sich die Abgeordneten, die sich den Tag über in einer Plenarsitzung befunden hatten, bereits vor dem Gebäude aufgestellt, allen voran die sechs Mitglieder der Haushaltsstrukturkommission. Lediglich Ministerpräsident Carstensen fehlte. Oppositionsführer und SPD-Fraktionsvorsitzender Ralf Stegner hielt gerade eine Begrüßungsrede, als der Truck anhielt und auch wenn er sich zunächst auf die Seite der Kämpfer stellte: Es war die Redezeit derer, die an den mit insgesamt 24.500 Watt verstärkten Mikrophonen der Demonstranten standen. Dies waren wieder Studenten der drei Universitätsstandorte, die sich gegen kurzsichtige Bildungspolitik aussprachen, es war der niedergelassene Arzt Dr. Frank Niebuhr, der die Bevölkerung aufrief, Minister de Jager Hausverbot zu erteilen und zum Abschluss trat Prof. Hilgenfeld vor die Landesvertreter und berichtete von Diktaturen, in denen bereits Universitäten geschlossen worden waren. Zwischenzeitlich versuchten zwar auch Regierungsvertreter zu Wort zu kommen, doch waren die Demonstranten und ihre Anlage durch schiere Masse einfach im Vorteil. So konnten alle Argumente vorgebracht und – man muss es den Mitgliedern der HSK zu Gute halten – bis zum Ende angehört werden.

Langsam löste sich nun die bislang größte Demonstration, die die Landeshauptstadt je gesehen hat und die laut Polizeibericht außergewöhnlich friedlich verlief, auf. Die Leute bevölkerten wieder Busse und (Sonder-)Züge, um den geordneten Rückzug anzutreten – zufrieden mit dem Auftritt, mit der leisen Hoffnung auf Erfolg und in der festen Überzeugung, bei Bedarf wieder zu kommen.

Die restliche Woche verlief ruhig – eine Chance für die Organisatoren, vor dem nächsten Schritt durchzuatmen. Die Resonanz war jedoch überwältigend: Unmengen von Unterstützungsbekundungen gingen ein, alle waren voll des Lobes über den friedlichen aber eindrucksvollen Auftritt. Zur besonderen Freude trugen dabei die Unterschriftenliste von Olaf Wetergrove, Paul Schoorn, Armin Ganter, Hinnerk Heieck und Guido Erdmann bei. Die Namen scheinen auf den ersten Blick nichts Besonderes zu sein, jedoch befinden sich diese Herren allesamt zum aktuellen Zeitpunkt auf einer Forschungsstation in der Antarktis. „Lübeck kämpft“ zieht nun offensichtlich weltweit seine Kreise und an dieser Stelle herzliche Grüße in den Süden!

Für etwas Auflockerung im Kampf-Geschehen sorgte noch ein von der Fachschaft CS|MLS organisierter Smartmob in der Lübecker Innenstadt. Hier sollte demonstriert werden, was der Wegfall der Medizin für die Stadt bedeutet: Sie würde aussterben! So waren um die Mittagszeit einige Menschen in weißen Arzt- und Laborkitteln zu sehen, die Punkt halb 1, nach dem Ertönen eines Startsignals, einen gespielten Herzinfarkt erlitten und für zwei Minuten scheinbar leblos zu Boden sanken. Die Passanten sind teilweise unbeeindruckt, mehrheitlich aber überrascht, einige wenige etwas hilflos. Nach zwei Minuten springen die tot geglaubten auf, reißen sich die Kittel vom Leib, unter denen gelbe Shirts zum Vorschein kommen. „Lübeck kämpft“ schallt es mehrfach durch die Straßen. Die ganze Fußgängerzone ist gelb. Ein schöner Anblick und die klare Botschaft:

Mit uns müsst ihr überall rechnen!

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