Meine Demo: Im Sonderzug nach Kiel

30. Juni 2010 | Von Ronny | Kategorie: Berichte, Demo | Letzte Änderung: 1. Juli 2010 um 00:01 Uhr

von Prof. Dr. h.c. Rolf Hilgenfeld

An einer Hand kann ich die Tage abzählen, die mich in jüngerer Zeit emotional so berührt haben wie der Tag unserer Demonstration in Kiel. Für mich war dieser auch verbunden mit der Aufgabe, den Sonderzug nach Kiel zu organisieren. In Absprache mit Linda Krause, der AStA-Vorsitzenden, hatte ich bereits seit dem 27. Mai versucht, von der Deutschen Bahn ein Angebot für einen Sonderzug zu erhalten. Zunächst hatten sie angeblich keine Lok, dann keine Wagen… Erst als ich beiläufig erwähnte, daß ich mich dann wohl an den DB- Aufsichtsratsvorsitzenden wenden müßte (der Chemiker Utz-Hellmuth Felcht war Ende der 80er Jahre mein Chef bei der damaligen Hoechst AG), kam ein Angebot über 35.000 Euro – so teuer, weil die Wagen aus Nordrhein-Westfalen zugeführt werden müßten. Bis zu diesem Zeitpunkt (07. Juni) hatten wir schon 12 Tage Zeit verloren, nur noch neun Tage bis zur Demo! Da erinnerte ich mich an einen Eisenbahnfreund, der in der Nähe von Nürnberg ein privates Bahnunternehmen betreibt, und der vermittelte mich an die Firma EuroExpress in Münster. Innerhalb von 30 Minuten hatten wir ein Angebot von dieser Firma auf dem Fax, welches um 40% unter dem der DB lag, obwohl auch hier der Zug aus Nordrhein-Westfalen zugeführt werden mußte! Zunächst sollte der Zug 15 Schnellzugwagen umfassen, aber dann meldete Kiel Hauptbahnhof, wir müßten einen Wagen weniger fahren, ihre Bahnsteige seien zu kurz. Vier Tage später kürzten die Kieler uns noch einmal zwei Wagen, aber EuroExpress hatte eine Lösung: 9 der geplanten Schnellzugwagen wurden duch Liegewagen ersetzt, da passen mehr Leute in jedes Abteil.

Am Dienstagabend, 15. Juni, fuhren dann acht Studentinnen des 4. Semesters MLS per Bahn nach Münster, um den Zug am nächsten Morgen mit 1000 gelb-schwarzen Kampfplakaten zu schmücken. Ich folgte erst vier Stunden später, weil ich noch an der Senatssitzung teilnehmen wollte. Nach einer sehr kurzen Nacht trafen wir uns um 7 Uhr mit Maik Dillmann von EuroExpress im Münsteraner Hauptbahnhof. Um 07:28 Uhr lief unser Sonderzug auf Gleis 9 ein, unendlich lang… wie sollten wir den jemals füllen? Von Münster fast bis nach Lübeck war unser Plakatierteam damit beschäftigt, alle Fenster mit den Kampfplakaten zu dekorieren – das war echt harte Arbeit und wurde von den Mädels super gemacht. Maik Dillmann und der Zugführer Klaus Dinger, ein alter Eisenbahnfan, beschäftigten sich derweil mit dem CD-Spieler, der von der Wagenbatterie gespeist wurde, aber immer dann versagte, wenn der Zug schneller führ – er bekam dann zu viel Spannung…

Die alte CD-Kiste hatte schließlich ein Einsehen mit uns, und Udo Lindenbergs “Sonderzug nach Pankow” ertönte aus allen Lautsprechern, als wir um 11:09 Uhr auf Gleis 2 in Lübeck Hauptbahnhof einliefen. Binnen Minuten hatten wir alle Kämpfer im Zug, das befürchtete Chaos blieb aus. Dabei hatte ich extra für jeden Wagen einen “Coach Manager” und einen “Assistant Coach Manager” ernannt – ein echtes Erlebnis vor allem für meine chinesischen und indischen MitarbeiterInnen.

Trotz ausgebliebenen Chaos’ verließen wir Lübeck Hbf. mit zehn Minuten Verspätung, nur drei Minuten vor der planmäßigen Abfahrt des ICE aus Kopenhagen, der uns “im Nacken saß”. Das beeindruckte unsere 7000 PS-Zuglok, die 185 630 der “Häfen & Güterverkehr Köln”, aber wenig. Bis Reinfeld wurde unser Zug begleitet von Bernd Koop von der Firma “fliegmituns.de” mit seinem Tragschrauber, in dem hinten unser Guido Hansen saß und den Zug aus der Luft filmte und fotografierte (siehe Bild). Abenteuerlich – ich war froh, daß ich in “meinem” Zug saß.

Die Durchfahrten durch die Hamburger Bahnhöfe waren dann nochmals ein akustischer Höhepunkt: alle Fenster waren mit “trillerpfeifenden” Kämpfern besetzt. Durch die Plakatierung wurde allen auf den Bahnsteigen Wartenden klar, daß hier ein Kampfverband der Uni Lübeck unterwegs war. Warum, konnte man auch an den extra angefertigten Zuglaufschildern lesen: “DPF 2222 Lübeck kämpft für seine Uni” war der offizielle Name unseres Zuges, unter dem man ihn auch in 100 Jahren noch in den Archiven finden wird. Fünf Minuten vor Plan kamen wir dann in Kiel Hbf. an, wo sich sofort der gesamte Bahnsteig mit gelben T-Shirts füllte – ein eindrucksvolles Bild.

Von der machtvollen Demo hatte ich dann wohl dieselben Eindrücke wie alle anderen Teilnehmer, ein unglaubliches Gefühl von Solidarität. Ein bißchen fehlten mir die Sprechgesänge der Demos, die ich als Student in den 70er Jahren mitgemacht hatte, für meinen Geschmack hätte von den Lautsprechern ruhig häufiger mal eines der neuen Lieder der Lübecker Studierenden gespielt werden können. Aber die elektronischen Klänge vom Love Parade-Truck ließen die Kieler Straßen eindrucksvoll erbeben.

Mit jeder der Reden, die ich anhörte, machte ich mir mehr Sorgen um meine eigene, die ich zum Abschluß der Demo halten sollte. Alles, was ich in der Nacht zuvor auf der Fahrt nach Münster in mein Manuskript geschrieben hatte, war irgendwann und irgendwie schon gesagt worden. Also habe ich meinen Beitrag völlig umgestellt, während der Vertreter des Kieler AStA und Dr. Niebuhr vor dem Landtag sprachen. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nur noch ein paar Stichworte auf mein Papier kritzeln. Aber dann fand ich es sehr einfach, dort oben zu stehen und vor Tausenden von Leuten frei zu sprechen: Du sagst einen Satz, möglichst mit Pointe, alle betätigen 20 Sekunden lang ihre Trillerpfeifen, und in der Zeit kannst Du Dir überlegen, was Du im nächsten Satz bringst. Jede Vorlesung ist da anstrengender…

Ich glaube, meine Rede (verfügbar auf der Seite des Instituts für Biochemie zu den Protesten) hatte den gewünschten Effekt. Der hochschulpolitische Sprecher der CDU, Daniel Günther, nannte ihr Niveau am nächstenTag in der Landtagsdebatte “erschreckend niedrig” und sprach mir gegenüber “von einem Tribunal”. Genau, Message verstanden, jetzt heißt es nur noch, Konsequenzen zu ziehen! Andererseits bat mich ein allseits bekannter Schriftsteller aus Lübeck um mein Redemanuskript, um es als Stoff benutzen zu können. Problem war nur, daß ich ja kein Manuskript hatte, aber inzwischen haben wir ein Transkript von der Videoaufnahme (direkter Link(mov)) erstellt.

Auf der Rückfahrt in unserem Zug, jetzt DPF 2223, waren die meisten Kämpfer von diesem anstrengenden Tag erschöpft. Unser Caterer, Niko Maethge von der Firma MSM, schenkte zur Belohnung für die friedliche Demo Bier aus, welches allerdings noch vor Erreichen Hamburgs zur Neige ging. Die Durchfahrt durch die Hamburger Bahnhöfe wurde dann noch einmal zu einem Akustikerlebnis erster Klasse, bevor es sich die müden Kämpfer in den Liegewagen gemütlich machten.

Ich möchte mich bei allen ganz herzlich bedanken, die geholfen haben, diesen Sonderzug zu ermöglichen, vor allem bei den Freunden und Förderern der Universität zu Lübeck, dem Plakatierteam vom 4. Semester MLS, meinen MitarbeiterInnen, die als Coach Manager und Assistant Coach Manager jederzeit alles im Griff hatten, Bernd Koop mit seinem Minifluggerät und dem todesmutigen Guido Hansen auf dem Rücksitz, unserem Präsidenten, der in Wagen 1 mitfuhr und uns aufmunterte, den Mitarbeitern der Firmen EuroExpress, MSM, Eisenbahnfreunde Hamm und Häfen & Güterverkehr Köln sowie allen Kämpferinnen und Kämpfern, die für allzeit gute Stimmung im Zug sorgten.

Auch die Redaktion „Lübeck kämpft!“ und die Organisatoren sowie der AStA möchten Sich auf diesem Wege bei Prof Dr. h.c. Hilgenfeld für das große Engagement um den Sonderzug bedanken.

3 Kommentare
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  1. wundervolle Zusammenfassung unserer Aktion, Prof.Hilgenfeld.

    Auf dass wir morgen unserem Ziel noch näher kommen-
    LÜBECK KÄMPFT!

  2. GÄNSEHAUTFEELINGPURE!!!

    Einfach grossartig! Ich freu´mich auf der Sternmarsch!

  3. Ich bin mit meinem Auto nach Kiel gefahren und etwa gleichzeitig mit dem Sonderzug am Bahnhof angekommen. Die pfeifende gelbe Welle, die einem entgegen schlug, war schon beeindruckend! Mir taten die Mitarbeiter der Geschäfte im Bahnhof richtig leid, die bei diesem ohrenbetäubendem Lärm plötzlich einen riesigen Kundenansturm erlebten. Ich selbst musste mich als vom Heuschnupfen Geplagter im Drogeriemarkt mit neuen Taschentüchern versorgen. Die schon völlig aufgelöste Mitarbeiteren dort ließ mich gleich in überschwänglicher Freundlichkeit wissen: “Ohropax ist aus!!”. Ich denke wir haben bleibenden Eindruck in Kiel hinterlassen ;-)